Von der Inklusion zur Vielfalt

 

Inklusion 2009 – 2017

 

In jeder Gruppe können Kinder mit Herausforderungen in geistigen, seelischen und körperlichen Bereichen Aufnahme finden. Schwerpunktmäßig ist die Arbeit auf „inklusive Pädagogik“ ausgerichtet. Dieser Ansatz ist eine im europäischen Vergleich relativ gängige Methode in der Kinderbetreuung. Lediglich in Deutschland werden Kinder mit Herausforderungen zumeist in heilpädagogischen Einrichtungen betreut, die sich ausschließlich auf Kinder mit Herausforderungen spezialisieren. Spätestens im jungen Erwachsenenalter müssen sich diese Kinder dann einer Realität stellen, in der das „Vergleichen“ mit Anderen nicht ausbleibt. Obwohl hierzulande zunehmend integrativ gearbeitet wird, habe ich mich dennoch für den inklusiven Ansatz entschieden. Im Folgenden möchte ich den Unterschied zwischen Integration und Inklusion darstellen. Wird der Begriff „Integration“ und somit „integrieren in“ zunächst genauer untersucht, kommt man zwangsläufig zu folgendem Punkt: Integration von Kindern mit mehr oder weniger sichtbaren oder ärztlich attestierten Einschränkungen in eine bestehende Gruppe.

„Inklusion“ hingegen meint „inkludieren“ (einschließen) und macht damit einen gravierenden Unterschied aus. Die inklusive Pädagogik hat sich zwar aus der integrativen Pädagogik entwickelt, weist aber begriffliche und konzeptionelle Unterschiede auf, vor allem in Bezug auf die Gleichberechtigung der Kinder. Die Integration geht von der Überzeugung aus, es gebe zwei Typen von Kindern, nämlich die „mit sonderpädagogischem Förderbedarf“ und die „ohne sonderpädagogischen Förderbedarf“. In ihrem Bestreben, Kinder mit Herausforderungen zu integrieren, verursachten die Integrationsbefürworter ungewollt die Entstehung dieses Zwei-Gruppen-Bildes: Kinder, die innerhalb des Systems vollberechtigt etabliert sind und andere, die außerhalb stehen und sich zu integrieren haben.

Für die Inklusive Pädagogik hingegen gibt es keine zwei Gruppen von Kindern, sondern einfach nur Kinder, die eine in sich geschlossene Einheit mit unterschiedlichen Bedürfnissen darstellt. Viele dieser Bedürfnisse werden von der Mehrheit geteilt und bilden die gemeinsamen Erziehungs- und Bildungsbedürfnisse. Alle Kinder haben darüber hinaus individuelle Bedürfnisse, darunter auch solche, für deren Befriedigung die Bereitstellung spezieller Mittel und Methoden sinnvoll sein kann. Die integrative Pädagogik strebt die Eingliederung der aussortierten Kinder an, dagegen erhebt die inklusive Pädagogik den Anspruch, eine Antwort auf die komplette Vielfalt zu sein. Sie tritt für eine Gleichberechtigung aller Kinder ein, unabhängig von ihren Fähigkeiten oder Beeinträchtigungen sowie von ihrer ethnischen, kulturellen oder sozialen Herkunft.

Die Inklusion beruft sich auf die Menschenrechte und fordert, dass Einrichtungen für Kinder den Bedürfnissen ihrer Gesamtheit gewachsen sein soll. Kein Kind soll ausgesondert werden, weil es den Anforderungen der Einrichtung nicht entsprechen kann. Im Gegensatz zur Integration, will die Inklusion die Kinder nicht den Bedingungen der Einrichtung anpassen, sondern die Rahmenbedingungen an den Bedürfnissen und Besonderheiten aller Kinder ausrichten. Kinder mit mehr oder weniger sichtbaren Herausforderungen im seelischen, geistigen oder körperlichen Bereich werden genauso wahrgenommen und betreut, wie Kinder mit Migrationshintergrund, mit ADS oder ADHS. Hinzu kommen Kinder, die aggressive Tendenzen aufweisen, denen eventuell die Trennung ihrer Eltern zu schaffen macht, oder aber die Geburt eines Geschwisters. Kinder, die bilingual aufwachsen, oder Kinder mit besonderen, künstlerischen oder sozialen Fähigkeiten, Kinder mit „Teilleistungsschwäche“ und „Hochbegabte“. Die Varianten sind hier unzählig, weil jede Kindheit von Herausforderungen und vielen Chancen geprägt ist. Der gesamtgesellschaftliche Aspekt, der hinter einer „Inklusiven Pädagogik“ steht ist jedoch das Lernen „Voneinander“. Dieser Prozess kann nur durch gleichberechtigte Teilhabe aller Kinder in Gang gesetzt werden. Je größer die Vielfalt, desto höher der „Input“. Dies bedeutet allen Anforderungen gerecht zu werden. Kindern, die sich beim Lernen eventuell leichter tun, und die nicht unterfordert werden dürfen, wie auch Kindern gegenüber, die sich damit im „Vergleich“ nicht ganz so leicht tun.

Das Zinnoberhaus wurde 2009 barrierefrei umgebaut. Es gibt aber weit mehr Barrieren als nur räumliche. Die Sprache stellt oft eine gravierende Barriere im Zusammenleben dar. In dem der UN- Konvention zugrunde liegenden Verständnis ergibt sich ein Perspektivwechsel, denn man geht davon aus,…

„…dass Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen

und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht, die sie an der vollen, wirksamen und

gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern.“

Konkret bedeutet das: Menschen mit Herausforderungen erfahren massive Behinderungen durch ihre Umwelt.
Behinderung wird in diesem Sinne nicht mehr als zuschreibbares Merkmal der Person verstanden, sondern entsteht vielmehr durch das Vorhandensein von Hindernissen oder Barrieren, die Menschen die gesellschaftliche Teilhabe erschweren oder gar unmöglich machen. Der Fokus der Handlung verschiebt sich somit von der „Hilfe“ oder „Fürsorge“ für den betroffenen Menschen hin zur Veränderung der Bedingungen zur Ermöglichung eines selbstständigen und selbstbestimmten Lebens. 1

Im Zinnoberhaus stellen wir neben dem barrierefreien Umbau auch das Wort an erste Stelle und schaffen einen chancengleichen und nicht bewertenden Sprachraum. Wir entscheiden uns die unterschiedlichen Entwicklungsvoraussetzungen von Menschen als individuelle Herausforderungen anzunehmen, weil Herausforderungen gemeistert werden können. Wir suchen bei allen Menschen nach den notwendigen Ressourcen um bestmögliche Entwicklung voranzutreiben. Unser Ansatz ist also nicht, was kann jemand nicht, sondern was kann dafür getan werden, damit individuelle Herausforderungen angenommen oder bewältigt werden können. Diesen Ansatz verfolgen wir bis in die Teamebene. Auf Teamebene müssen jedoch Grundvoraussetzungen gegeben sein, um den Bedürftigkeiten unserer schutzbefohlenen Kinder gerecht werden zu können. Schutzauftrag nach Paragraf 8a SGB VIII.

Der Begriff der Inklusion entstand Anfang der 90er Jahre, wobei die Internationale Konferenz der UNESCO, die 1990 in Thailand abgehalten wurde, einen sehr wichtigen Moment darstellte. Im Rahmen dieser Konferenz, die unter dem Motto „Bildung für alle“ stattfand, wurde erstmalig das englische Wort „inclusion“ statt „integration“ benutzt.

Eine Erklärung über die Inklusion als wichtigstes Ziel der internationalen Bildungspolitik und ein Rahmen für deren Umsetzung war das Hauptergebnis der UNESCO Konferenz, die 1994 in Salamanca stattfand.
Wir haben uns als elementarpädagogische Einrichtung deshalb dazu entschieden, „Inclusion“ endlich mit „k“ zu schreiben.

Bildhafte Darstellung unterschiedlicher Ansätze: Quelle Wikipedia

1 Bildungsserver Berlin Brandenburg / Inklusion 2009

Konzeptionsteil Inklusion 2009: CM

 

 

Vielfalt 2018 –

 

Die ersten neun Jahre waren geprägt durch die Implementierung des konzeptionellen Grundgedankens zur Inklusion in der möglichst klaren Abgrenzung zur Integration. Dies schien als die notwendige Konsequenz, die aus der extremen Heterogenität unserer Gesellschaft gezogen werden musste.

Zu unserem Bedauern legt die Inklusion bis heute ihren Fokus auf den Einschluss von Unterschiedlichkeiten bezogen auf Minderheiten. Daher scheint es uns hilfreicher die extreme Heterogenität unserer Gesellschaft als Faktum anzuerkennen. Gesellschaftliche Vielfalt setzt demnach voraus, dass Unterschiede gut ausgehalten werden können, ein hohes Maß  an Ambiguitätstoleranz oder der Erwerb dessen ist hilfreich und notwendig.

Eine Gesellschaft der Vielfalt wäre also eine, in der Heterogenität als Normalität begriffen wird – in der also nicht mehr unterschieden wird zwischen „der Norm entsprechend“ und „von der Norm abweichend“, sondern Verschiedenheit die Norm ist.

Unser pädagogisches Verständnis ist es, allen Beteiligten eine Erlebniswelt zu schaffen, die frei ist von sexistischen, ethnischen, äußerlichen und homophoben Diskriminierungen und Übergriffen.

Konzeptionsteil Vielfalt 2017: CM